Ja, ist denn schon wieder Weihnachten? Na klar, in ein paar Tagen ist »Heiliger Abend«. Also eigentlich noch genügend Zeit für Geschenke, d.h. neuen Lesestoff. Deshalb gibt es heute wieder die beliebte jährliche Rubrik: Geschenketipps für das Weihnachtsfest.
Hier also meine Vorschläge für das Weihnachtsfest 2020 (und darüber hinaus).
Saša Stanišic: »Herkunft«
Beginnen möchte ich mit dem Roman – »Herkunft«* von Saša Stanišic.
Das Buch hat mich schon im letzten Jahr interessiert. Wohl wegen des Hypes darum. Nach dem Deutschen Buchpreis dachte ich, vielleicht wieder so ein Feuilletonliebling, »das ist zu hoch für dich«. Doch ich habe mich getraut und nicht bereut. Dieser Roman ist großartig!
Der Titel sagt schon alles. Es geht um die Frage »Was ist Herkunft?« Herkunft als Ausgangspunkt für Ankunft und Integration, Erinnerungen, Familie und Zukunft. Und Herkunft ist Zufall.
Saša Stanišic schreibt hier in der Ich-Form. Selbst ist er in den 90er-Jahren als 14-Jähriger mit seiner Mutter vor dem Bosnienkrieg nach Deutschland, genauer nach Heidelberg, geflüchtet. Der Vater kam später nach.
In Deutschland angekommen, arbeiten die Eltern weit unter ihrer eigentlichen Qualifikation. Der Erzähler selbst trifft sich mit anderen ausländischen Jugendlichen an einer Tankstelle, welche für sie zum Jugendtreffpunkt wird. Es geht um den täglichen Kampf um Integration und das Bleiberecht. Der Wille, die deutsche Sprache zu beherrschen, sein Talent fürs Geschichtenerzählen und die Förderung durch einen Lehrer bedeuten für den Stanišic die Chance auf Abitur, Studium und die spätere deutsche Staatsangehörigkeit. Den Eltern, aber auch einigen seiner Freunde wird später das Bleiberecht verwehrt und sie müssen zurückkehren.
Erinnerungen an seine eigene Kindheit in der Heimat, an seine Großeltern, im Besonderen an seine Großmutter Kristina, zu der er ein inniges Verhältnis hat, geben einen Rückblick. Während er weitere Erinnerungen sammeln kann, verliert die Großmutter ihre, weil sie dement wird.
Der Krieg bedeutet aber auch, dass die Familie mittlerweile überall auf der Welt verstreut ist. Das Dorf, aus dem die Familie stammt, wird es bald nicht mehr geben, weil nur noch ein paar alte Menschen dort leben.
Stilistisch ist »Herkunft« nicht streng chronologisch geschrieben. Stanišic springt hin und her. Mal ist es Autobiografie, mal Roman, mal Familiengeschichte und dann garantiert auch mal reine Fiktion. Im letzten Teil des Buches kann man sich die Geschichte selbst in Form eines sogenannten Pen-&-Paper-Rollenspiels zusammenstellen. Das Ganze ist aber sprachlich unwahrscheinlich gut verbunden.
Wie schon zu Beginn angedeutet, »Herkunft«* ist ein unbedingter Lesetipp!
Niklas Natt och Dag: »1794«
Tipp Nr. 2 ist »1794«* von Niklas Natt och Dag. Im letzten Jahr habe ich schon den Vorgänger »1793«* vorgestellt.
Der Roman ist zweiteilig aufgebaut.
Teil 1: Erik Drei Rosen, Sohn eines Gutsbesitzers, wird von seinem Vater in Begleitung seines Vetters Johann Axel auf die Insel Barthelemi verbannt. Der Grund dafür: Linnea Charlotta, die Tochter des Angestellten Eskil Colling. Erik und Linnea wollen heiraten, Eriks Vater will es verhindern. Auf Barthelmi lernt er Tycho Ceton, der zu seinem väterlichen Freund wird. Nach dem Tod von Bruder und Vater kehren beide nach Stockholm zurück.
Und Teil 2 der Geschichte beginnt. Nach den grausamen Ereignissen des letzten Jahres fällt der Stadtknecht Jean Michael Cardell in ein tiefes seelisches Loch. Die Ermittlungen im letzten Fall gaben seinem Leben wieder einen Sinn und sein Partner, der Jurist Cecil Winge, ist seiner schweren Krankheit erlegen. Doch dann kontaktiert ihn eine Frau und bittet Cardell um Hilfe: Ihre Tochter wurde in der Hochzeitsnacht auf grausamste Weise zugerichtet und getötet. Als Täter wird deren frisch angetrauter adeliger Ehemann identifiziert und in ein Irrenhaus eingewiesen. Cardells Nachforschungen führen wieder in die Abgründe Stockholms.
Ich finde »1794«* spannender und besser als den Vorgänger „1793“. Vielleicht auch, weil einige Figuren schon eingeführt sind. Achtung Spoiler! Offenes Ende. „1795“ kommt bestimmt.
Der Roman ist also auch wieder ein unbedingter Lesetipp!
Die Tipps Nr. 3 und 4 führen nach Dänemark.
Søren Sveistrup: »Der Kastanienmann«
Nr. 3 ist »Der Kastanienmann«*, der Debütroman des dänischen Autors Søren Sveistrup.
Es beginnt mit einem kurzen Prolog im Jahr 1989. Doch ziemlich schnell kommt der Schwenk in die Gegenwart.
Eine Frauenleiche wird grausam verstümmelt auf einem Spielplatz in Kopenhagen aufgefunden. Der Täter hat dabei noch eine unheimliche Botschaft hinterlassen: ein gebasteltes Kastanienmännchen. Unklar ist das Motiv und der Hintergrund für das Verbrechen an der Mutter eines achtjährigen Jungen. Auch das Kastanienmännchen gibt Rätsel auf. Denn auf diesem wird der Fingerabdruck von Kristine Hartung gefunden, der sechsjährigen Tochter der Sozialministerin Rosa Hartung. Kristine war vor einem Jahr spurlos verschwunden. Der Fall gilt jedoch als aufgeklärt. Ein psychisch kranker Mann hatte gestanden, das Mädchen ermordet zu haben.
Mit dem Mordfall sind die beiden Kriminalkommissare Naia Thulin und Mark Hess betraut. Hess arbeitet eigentlich bei Europol in Den Haag, ist dort allerdings negativ aufgefallen und gerade zurück nach Kopenhagen geschickt worden. Er sieht eine Verbindung zwischen dem aktuellen Mord und der Entführung der kleinen Hartung. Dann passiert ein weiterer Mord. Wieder ist es eine junge Mutter und wieder wird ein Kastanienmännchen mit einem Fingerabdruck von Kristine Hartung gefunden…
Dass es Verbindungen von der aktuellen Mordserie in die Vergangenheit gibt, ist durch den Prolog zu vermuten. Mehr möchte ich aber nicht verraten.
Mein Urteil: Was für ein Buch! 600 Seiten Spannung und Kopfkino pur. Unbedingt lesen!
Katrine Engberg: »Krokodilwächter«
Tipp Nr. 4 ist weiterer Kriminalroman aus Kopenhagen – »Krokodilwächter«* von Katrine Engberg. Er nennt sich sogar »Ein Kopenhagen-Thriller«.
Die junge Studentin Julie Stender, erst vor Kurzem nach Kopenhagen gezogen, wird tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Erschlagen und das Gesicht mit einem Messer verunstaltet.
Die beiden Kopenhagener Kommissare Jeppe Kørner und Anette Werner sind damit betraut, diesen brutalen Mord aufzuklären.
Dann taucht auch noch ein Krimimanuskript von Julies Vermieterin Esther de Laurenti, eine emeritierte Professorin, auf, dass erstaunliche Parallelen zu dem Mord aufweist. Und es dauert nicht lange, bis ein weiterer Mord im Umfeld der Professorin geschieht.
Ich muss gestehen, es hat für mich sehr lange gedauert, bis ich irgendeine Ahnung davon bekam, wer der Täter sein könnte. Und ich finde, das ist auch gut so, wenn ein Krimi die Spannung lange hochhalten kann. Daher ist »Krokodilwächter«* aus meiner Sicht ein wirklich guter Lesetipp.
Henning Mankell »Der Sprengmeister«
Tipp Nr. 5 ist »Der Sprengmeister«* von Henning Mankell.
„Der Sprengmeister“, Mankells Debütroman, ist kein Krimi; Wallander ist noch sehr weit weg.
Der Roman ist ein Rückblick auf das Leben des Sprengmeisters Oskar Johansson, der in jungen Jahren eine Sprengung schwer verletzt überlebt und trotz seines Schicksals ein ganz normales Leben führt – ohne Groll und mit dem Optimismus, dass irgendwann alles besser wird.
Der Stil ist, sagen wir mal – etwas speziell. Der unbekannte Erzähler springt in den Jahren hin und her. Es hat auch etwas Tagebuchhaftes. Dennoch ein lesenswertes kleines Buch.
Kurztipps
Und hier noch ein paar Kurztipps.
Kurztipp Nr. 1 ist Rob Hart: »Der Store«*.
Der Roman ist in seiner dystopischen Stimmung mit den in den letzten Jahren vorgestellten Büchern »Der Circle«* von Dave Eggers (2016) und »Troll«* von Michal Hvorecky (2019) zu vergleichen.
»Der Store«* hat knapp 600 Seiten, so richtig Spannung kommt aber erst in der 2. Hälfte auf. Dennoch lesenswert. Und eine coole Buchgestaltung.
Die Kurztipps Nr. 2 und 3 sind vom chilenischen Schriftsteller Antonio Skármeta.
Einmal: »Die Hochzeit des Dichters« und dann »Mit brennender Geduld«*. Letzterer ist auch als Film »Der Postmann – Il postino« bekannt.
Hier habe ich mal in meinem Bücherregal gekramt. Beide Bücher sind lesenswert. No.1 ist Unterhaltung, No.2 ist das literarische Denkmal für den chilenischen Literaturnobelpreisträger Pablo Neruda.
Für das nächste Jahr habe ich mir wieder ein paar Buchtipps vorgenommen. Seid gespannt!
Nun zur Umfrage.
Auch in diesem Jahr möchte ich wissen, welche Bücher die droessnitz.de-Besucher gerne lesen. Aber auch andere Tipps, wie CDs oder DVDs sind willkommen. Gebt eure Tipps über das Kommentarfeld (hier ein paar Zentimeter weiter unter »Kommentar abgeben«) ab. Ich freue mich über eine rege Teilnahme.
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